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2. Öffentliches Hearing „Sexueller Kindesmissbrauch in der DDR“ der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs

Am 11.10.17 fand dieses Hearing in der Villa "Ida" in Leipzig statt.

Dankeschön an alle Mitglieder der Kommission, im Besonderen an Frau Prof. Barbara Kavemann die mich im vertraulichen Gespräch anhörte und auch auf dem Podium mit mir sprach.

Für alle betroffenen Kinder, die sexuellen Missbrauch erfahren haben. Helfen Sie mit, dass Kindern heute durch den Austausch Ihrer Erfahrungen geholfen werden kann. Wie das geht finden Sie unter untenstehenden Link

Seit 2016 gibt es eine unabhängige Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch an Kindern.

     

Hier ist ein Link zur Internetseite der Kommission, auf der Sie einen Überblick über das 2. Öffentliche Hearing vom 11.10.17 bekommen.

Auch zu mir finden Sie hier etwas.

 

Fr. Prof. Barbara Kavemann und ich

 


Das Gespräch zwischen Frau Prof. Dr. Kavemann und mir finden Sie hier:

Ausgeliefert mit System, Gerd Keil im Gespräch mit Barbara Kavemann

Dankeschön für das Einsprechen auch an dieser Stelle.

Sie können den kursiv geschriebenen Text auch hier hören. Er ist ein Teil des o.g. Gespräches.


Hearing „Sexueller Kindesmissbrauch in der DDR“ 11.10.17

Meine Großeltern wohnten um die Ecke vom ehemaligen Pionierpark in der Wuhlheide in Berlin. Wir waren ganz oft da. Ich fand das als kleiner Junge schon total spannend, bei der Pioniereisenbahn mitzufahren und war begeistert, dass da Kinder auch tätig sind. Also die Pioniere zwischen 10 und 14 Jahren. Die Bahnhofsleiter und Lokführer waren Erwachsene.

Mit zehn Jahren, 1973, habe ich angefangen, bei der Pioniereisenbahn zu arbeiten. Das begann erstmal mit Schule. Ich habe Signale gelernt, Weichenstellungen und Fahrkartenpreise. Wir kriegten bei der Berliner S-Bahn Freifahrt, wenn wir in unserer Kinder-Uniform gefahren sind. Das war schon was Besonderes. Also die Arbeit an sich, wenn ich jetzt da den Missbrauch rausrechnen könnte, dann wäre das… ja, total schön gewesen. Also das war was, was ich echt gern gemacht habe.

Irgendwann wurde ich Stellwerksmeister, hab dann selber die Weichen bedienen dürfen. Als Stellwerksmeister hatte ich unter anderem die Aufgabe, dem Bahnhofsleiter das Berichtsheft vorzulegen. In der Hierarchie war der Bahnhofsleiter durchaus so vier Etagen über uns. Da drüber gab’s nur noch den Leiter der Pioniereisenbahn. Wir Pioniere hatten unterschiedliche Dienstgrade auf unseren Schulterklappen, das zeigte einem Bahnhofsleiter, was wir dürfen und was nicht. Der Bahnhofsleiter, der mich drei Jahre lang missbrauchte, war Gott sei Dank nur dienstags und freitags da.

Nach dem ersten brutalen Übergriff drohte er: Also, wenn du mit jemand darüber sprichst oder jemandem davon erzählst, wird das nächste Mal noch viel schöner.

Ich konnte mit keinem sprechen.

Ich bin raus und bin zum Bahnhof gelaufen. Hab mich einige Male auf dem Weg übergeben. Meine Mutter hielt mir einen Vortrag, dass sie nun die Uniform reinigen lassen muss. Ich habe mich dann nur noch in mein Bett verkrochen.

Ich wollte natürlich gern wieder hin. Auf der anderen Art wollte ich nicht.

Ich konnte es mir lange nicht erklären, wie das wöchentlich geschehen ist, ohne dass ich irgendwie gesagt hab: Es geht nicht. Oder einfach nicht mehr hingegangen wäre. Ich denke heute, dass ich auch immer wieder dorthin gegangen bin, weil mir klar war, dass in der Zeit dann kein anderes Kind missbraucht werden konnte.

Einmal habe ich vorn in der Fahrkartenausgabe gesessen. Und ein Mädchen kam raus und hat über ganz dolle Bauchschmerzen geklagt. Und ich habe noch gefragt, ob ich die Sanis anrufen soll. Und sie sagte: Nein, bring mich einfach nur zur Bahn. Ich weiß nicht, ob was passiert war, aber ich glaube, ich war nicht sein einziges Opfer.

Mit dem 14. Lebensjahr hörte ich dort auf, weil die Mitgliedschaft bei den Pionieren dann vorbei war und man zur FDJ kam. Die Mitarbeit endete und damit auch der Missbrauch.

Aber ich habe es auch danach nicht geschafft, mit irgendjemandem darüber zu reden.

Das Verrückte ist: ich habe das damals nicht als Unrecht sehen können. Ich dachte, ich war der Schuldige. Denn…ich hätte mich ja wehren müssen. Ich hatte nicht wirklich jemand, mit dem ich sprechen konnte. Also mein Vater wäre vielleicht noch jemand gewesen. Aber der war einfach viel zu selten zu Hause, hat im Vier-Schicht-Dienst gearbeitet bei der Berliner S-Bahn.

Was ich später als Unrecht tatsächlich erkannt habe, war die Mauer. Schießbefehl. Stasi. Stacheldraht. DDR als Riesengefängnis. Und deswegen habe ich auch dagegen rebelliert und habe Fragen gestellt. 1986 hat die Stasi mich dann verhaftet und … drei Jahre eingesperrt, bis ich dann freigekauft wurde.

Nach dem Freikauf hat der Hamburger Senat mir sofort eine Psychotherapie angeboten. Und da hab ich gesagt: Ich gehe doch jetzt in keine Therapie, und rede womöglich noch mit einem Mann darüber. Nein.

Später, nach meiner Scheidung bin ich dann zusammengebrochen. Seither habe ich mehrere Therapien gemacht. Ich kann heute abends, Gott sei Dank, schon mal rausgehen auf den Hof, wenn es dunkel ist. Und das Gartentor zumachen. Das klappt, das geht. … Noch nicht so lange, ich übe noch. Die Ängste werden weniger.

Aber mein Täter von damals ist nie bestraft worden. Möglicherweise hat keins der Kinder gesprochen. Und selbst wenn. Der brauchte bloß die richtigen Ausweispapiere und die richtigen Leute kennen, dann passiert dem gar nichts. In der DDR war das kein Thema.

Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft diese Taten an Kindern nicht länger tabuisiert. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob die Taten in der Familie oder anderswo waren. Es kann nicht sein, dass ein Kind mit diesen Erlebnissen allein gelassen wird.

Ich wünsche mir auch, dass es die Kommission weitergibt, dass sich nicht irgendein Politiker überlegt: Ach, paff, sexuellen Missbrauch hatten wir mal jetzt drei Jahre, brauchen wir nicht mehr. Es ist schön, dass es Menschen gibt, mit denen man darüber reden kann. Die zuhören, die ein Interesse haben. Ich hoffe, dass noch ganz viele ehemalige Missbrauchsopfer auf diese Art Gehör bekommen und …ja, Zuwendung erfahren.

Ich glaube mit dieser Öffentlichkeitswirksamkeit kann man auch Menschen bewegen, die nicht wirklich hingucken. Die aber dann mit dem Herzen dabei sind und fühlen.

Warum habe ich mich niemanden anvertraut, niemanden etwas davon erzählt? Warum sah mich keiner?

Meine Kinderfreundin und spätere Jugendliebe ahnte im Alter von 20/21 was damals mit mir geschehen war. Aber ich konnte es ihr doch nicht erzählen. Was hätte dieses Wissen in ihr ausgelöst? Erwachsene, denen ich so sehr vertraute hatte ich nicht, außer den Eltern und dem Bruder von ihr.

Meine Eltern wollten mich nicht sehen. Für sie war ich immer das schwarze Schaf der Familie aus dem sowieso nichts wird. So hatte es meine Mutter mal gesagt. „Ich könnte dich in einen Sack stecken, diesen zu machen, einen Stein daran befestigen und alles zusammen in die Spree werfen“. Das sagte meine Mutter zu mir als ich sechs war und wir gerade die Spree auf einer Brücke passierten. Dieser Frau hätte ich mich niemals anvertraut.

Was wünsche ich mir von der heutigen Gesellschaft?

Das dem Kind jemand zur Seite steht, und das meine ich wörtlich. Diese Person kann nicht sagen, ach Onkel … doch nicht. Der trägt immer so einen schönen Anzug und ist so lieb zu dir, der würde doch so etwas niemals tun. Wenn das passiert, sind wir nicht die Gesellschaft die den kleinsten den Schutz und die Geborgenheit bieten, die sie brauchen. Und bei sexuellem Missbrauch erst recht brauchen.

Aufhebung der Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch an Kindern.

Mord verjährt nicht, das ist richtig und hat auch seinen guten Grund. Seelischer Mord jedoch verjährt. Die Kinder von einst sind später schwer traumatisierte Erwachsene. Die Betroffenen von einst, ich nenne uns absichtlich nicht Opfer, bekommen lebenslänglich und die Täter … Freispruch. Das kann und will ich nicht für GERECHT halten.

Soforthilfe schon bei Verdacht des sexuellen Missbrauchs für die Opfer, aber vor allem auch für die vielen Bezugspersonen von Kindern, wie Lehrer, Erzieher und Sozialpädagogen, denen die Angst vor Konsequenzen genommen wird, wenn sich ihr geäußerter Verdacht zum Glück nicht bestätigt.

Fortbildungen und Präventionsarbeit in den Schulen, unter Nutzung der gesammelten Erfahrungen dieser Kommission und der Polizei, wenn nötig auch unter der Einbeziehung der erwachsenen Betroffenen, die in schulischen Veranstaltungen berichten und offen darüber sprechen.

Kinder dürfen und sollen NEIN sagen können!!!

Wenn sie ein Unbehagen spüren! Doch dies müssen sie lernen und so früh wie nur möglich, sollte auch deshalb, die Aufklärung kindgerecht beginnen.

Ich bedanke mich sehr herzlich bei der Kommission, insbesondere bei Frau Kavemann die die vertrauliche Anhörung mit mir führte und auch auf dem Podium mit mir sprach, für ihre so wichtige Arbeit, die unbedingt weiter fortgeführt werden muss, wenn wir das Tabu des Schweigens in unserer heutigen Gesellschaft brechen wollen.

Mehr über dieses Hearing vom 11.10.17 in Leipzig können Sie im Stern vom 12.10.17 Nr. 42 lesen und natürlich auch auf der Seite der Aufarbeitungskommission.

 
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