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Diskussionsbeitrag von Günther Schabowski anlässlich eines Symposiums in Kyritz zum 60. Jahrestag der Bodenreform am 03.09.2005 – Abschrift

 

Meine Damen und Herren, Herr Prof. Kluge,

nachdem ich auf dem Weg zum Tagungsort von Beton- oder Hohlköpfen, in denen ich Mitglieder der nun schon zum dritten Mal mit einem Tarnnamen versehenen SED-Nachfahren vermute, als Verräter oder Wendehals getadelt oder besser geadelt worden bin, sehe ich mich in dem, was ich zu sagen vorhatte, bestärkt.

Herr Dr. Schöne hat für den heutigen Diskurs geraten, dass man sachlich und nüchtern an den Stoff gehen sollte. Erlauben Sie mir die Etikette etwas zu verletzen: Ich neige zu Emphase, ohne völlig auf Realismus zu verzichten.

Zunächst möchte ich mich herzlich bei Ihnen, Herr Bürgermeister Winter, für die Einladung zu dieser Tagung, bei den Referenten, aber auch bei den Schülern, bedanken, die hier über die Resultate ihrer Nachforschungen gesprochen haben. Ich entnehme daraus ein genaues, ein differenziertes und tieferes Bild eines wichtigen Teils der DDR-Geschichte, das man kennen muss.

Danksagen möchte ich aber auch Ihnen, Graf Schwerin, für das gestrige Erlebnis des Gedenkens an die toten und lebendigen Opfer der Bodenreform, welchen Terminus ich in Anführungszeichen setze. Die Reden, die vor dem Kreuz der ARE gehalten wurden, gingen zu Herzen. Nehmen wir nur die erschütternde Schilderung von Herrn Latotzki, seines Schicksals, das seiner Mutter und seines Vaters. Es müsste denen die Sprache verschlagen, die sich heute auf einer eilends angesetzten Parallelveranstaltung wieder mal in unredlicher Verklärung von DDR-Geschichte versuchen.

Ich bin hier, obwohl meine Beziehung zur Landwirtschaft, jedenfalls in der 45er Urzeit der Enteignungen und später der neuerlichen Enteignung in Gestalt der Kollektivierung noch nicht viel mehr als die eines klassenbewussten und gedankenlosen Konsumenten ihrer Produkte waren, und die waren ja damals besonders rar. Ich bin auch kein Experte in den Verfassungs- und Rechtsfragen, die mit der Aufhebung und Wiedergutmachung des Unrechts zusammenhängen, das auch in der Landwirtschaft auf das Konto der SED geht. Ohne durch einen besonderen Bezug zu diesem Bereich der Gesellschaft legitimiert zu sein, habe ich die Einladung von Bürgermeister Winter dennoch angenommen. Das Anliegen, das er in seinem Schreiben an die Teilnehmer nennt, ist ein Teil der notwendigen Aufarbeitung von DDR-Geschichte. Daran versuche ich mich seit 15 Jahren. Nach der ohne Zweifel aufschlussreichen Mikroskopie der damaligen Vorgänge setze ich ein anderes Okular ein – mehr Weitwinkel.

Zu dem, was Bauern, Grundbesitzer und Neubauern in der SBZ und in der DDR widerfahren und was bis heute eine offene Wunde ist, habe ich simple – mancher würde sagen – eine fundamentalistische Einstellung. Es waren Gewaltakte, die uns – mal abgesehen von der Moskauer Befehlslage – in kommunistischer Anmaßung und in der Verheißung auf eine arkadische Zukunft gerechtfertigt schienen. Doch es war nicht mehr und nicht weniger als eine verwerfliche, inakzeptable Abkehr von Humanität. Kein Zweck kann Diebstahl, Verfolgung und Menschenvernichtung heiligen, wie sie im Namen des Sozialismus/Kommunismus begangen wurden. Nach 40 Jahren des gescheiterten sozialistischen Experiments in der DDR und nach mehr als sieben Jahrzehnten Versuchszeit seit der Oktoberrevolution ist die Untauglichkeit des Systems auch durch ein beispielloses Sündenregister erwiesen. Dazu gehören u.a. Hungersnöte und flächendeckende Kulaken- sprich Bauernvernichtung. Es waren nachgewiesenermaßen allein auf diesem Felde nicht nur Hunderttausende, die unter dem Würgegriff eines Stalin, eines Ulbricht – die Spur reicht bis zu Mao und Pol Pot – unserer „Sozialistischen Erweckung“ zum Opfer fielen. Ich will auch deshalb nicht über die Zahl von 90.000 Opfern richten, über die sich die PDS empört. Sie nimmt überhaupt nur widerstrebend, nur wenn ihr kein Fluchtweg bleibt, die Opfer ihrer Ziehmutter SED wahr. Mit dem Untergang nicht nur des SED-Regimes, sondern der ganzen so genannten sozialistischen Staatengemeinschaft war der letzte Nebel der Verklärung (die für alle, die daran glaubten und stets nur trügerische, durch nichts bewiesene Autosuggestion war) verflogen – von dem sich übrigens auch manche demokratische Partei und Regierung den Blick trüben ließ. Geblieben ist von den meisten „Sozialistischen Errungenschaften“ heute das entschleierte Unrecht.

Die einzige Konsequenz daraus wäre, dass alles so widerhergestellt wird, wie es vor dem fehlgeschlagenen kommunistischen Großversuch war. Zumindest der Rechtsanspruch der Betroffenen und Leidtragenden ist unstrittig, will sich die Demokratie nicht nachträglich die Deckung roten Unrechts vorwerfen lassen. Das, scheint mir, ist die Logik der Geschichte.

Die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Die zum dritten Mal umgetaufte SED, die Linkspartei PDS, praktiziert ungeniert die Deutungshoheit über ihre Vergangenheit in Büchern und Medien, auf Fernsehschirmen, wie letzten Sonnabend mit ihrem Parteitag, den Phoenix übertrug – und auf dem sich Gysi wieder einmal als Rächer der Enterbten Ostdeutschen aufspielte, die er als renommiertes SED-Mitglied selbst mit enterben half. Einer der Delegierten faselte davon, dass in der Bundesrepublik die sozialen und kulturellen Errungenschaften der DDR diskriminiert würden, und forderte, man müsse dem Einhalt gebieten. Das wird in erwähnter Veranstaltung versucht. Die PDS hat ihre Einladung, Herr Bürgermeister Winter, zurückgewiesen. Stattdessen rührt dort hastig die Luxemburg-Stiftung die Werbetrommel für den von Modrow editierten Sammelband „Junkerland in Bauernhand“. Man kann ahnen, wie darin die Karten der Geschichte gezinkt werden, sonst hätte man den Diskurs in dieser Runde hier nicht zu scheuen brauchen.

Ich denke, es war richtig und notwendig, dass Sie den Stein, der an den als Bodenreform etikettierten, in Wahrheit an den auf Stalins Ukas erfolgten frühen Schritt seines Satelliten SED zur gesellschaftlichen Usurpation in der SBZ erinnert, umgewidmet haben – zum Gedenken an die Opfer dieser Aktion mit ihren düsteren Folgen. Man kann allerdings nur darüber staunen, dass mit Tausenden Euros Steuergeldern das verrottete Stück Gestein zum Ruhme der SED wiederhergerichtet wurde. Wer bewilligt eigentlich so etwas heute? Sollte das wirklich ein Klein- oder Mittelmächtiger sein, der, hätte er ein SPD-Parteibuch, die damalige gleichzeitige Verfolgung von SPD-Genossen aus seiner Erinnerung verbannt hat. Es ist eines von noch immer vorhandenen anachronistischen Zeichen, wie auch die hirnlose Fernseh-Welle, oder jene Straßen mit Namen von Hierarchen oder Säulenheiligen der Bankrottpartei, durch die Ostalgie genährt wird.

Ich hätte es gut gefunden, wenn der Gedenkstein in seinem Verfallszustand erhalten geblieben wäre, wie ich es vor einiger Zeit auf Pressefotos sah – als Sinnbild des Scheiterns derer, die das Gemäuer zu ihrer Selbstglorifizierung gesetzt hatten. Natürlich müsste dann in Gestalt einer Tafel, einer anderen als der restaurierten, aus nicht vergänglichem Material, sozusagen in ehernen Lettern, die dunkle Wahrheit über die Bodenreform verkündet sein. Wenn so etwas nicht möglich ist, offenbart das nur – neben anderen Problemen -, welches Gerümpel im Osten die innere Einheit auf dem Wege zur Vollendung noch immer stolpern lässt.

In 14 Tagen wählen die Deutschen. In den vergangenen 15 Jahren ist es den SED-Nachfolgern nach und nach gelungen, ihre kommunistische Genetik durch demokratische Gestik und Verbal-Akrobatik zu verhüllen. Die Gutgläubigen in der Demokratie gaben ihnen dabei manche Hilfestellung. Das belegt auch die Medienhingabe, derer sich die hochstaplerische Geschwätzigkeit der Links-Rosstäuscher aus Ost und West sicher sein kann. Wenn das, was heute hier geäußert wurde, an eine breite Öffentlichkeit gelänge, könnte es helfen, den derzeitigen linksdemagogischen Wahl-Qualm ein Stück weit aufzulösen. Auch nach der Wahl täte den Wählern klare Sicht gut.

G. Schabowski, Mitglied des Politbüros der DDR, öffnete bewusst-unbewusst die Berliner Mauer.

  

 
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