Die "juristische Hochschule" befand sich in Potsdam Golm. Mehr darüber erfahren Sie auf dieser Seite.
"Doktoren der Tschekistik"
Die Juristische Hochschule des MfS erhält das Promotionsrecht
Am 21. Juni 1968 wurde der Kaderschmiede des Ministeriums für Staatssicherheit – der Juristischen Hochschule in Potsdam-Golm – offiziell das Promotionsrecht verliehen. Die Feierlichkeiten der Hochschule zum 75. Geburtstag von Staats- und Parteichef Walter Ulbricht boten für den Festakt den geeigneten Anlass. Er zeigte, wie wichtig den DDR-Machthabern die weitere "Akademisierung" der zentralen Bildungs- und Forschungsstätte des MfS war.
In der Geschichte der juristischen Hochschule ( JHS) und ihrer Vorgängereinrichtungen stellte das Promotionsrecht den Höhepunkt einer Entwicklung dar, die von der systematischen Schulung zur "wissenschaftlichen" Ausbildung der Stasi-Offiziere führte. Schon kurz nach der Gründung der Staatssicherheit wurde in Potsdam-Golm die MfS-Schule gegründet. Bereits wenige Jahre später folgte 1955 die so genannte Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit, an der Stasi-Offiziere bestimmte Lehrgänge absolvierten. Daraus entstand 1965 schließlich die juristische Hochschule Potsdam, die staatlich anerkannte Abschlüsse ermöglichte.
Am 21. Juni 1968 erhielt die JHS zunächst das Recht auf Verleihung der "Promotion A" – des akademischen Grades Dr. jur. 1981 erhielt sie dann das Recht auf Verleihung der "Promotion B" – des akademischen Grades Dr. sc. jur. und der Habilitation.
Hatte Wilhelm Zaisser, erster Stasi-Minister, 1951 bei der Eröffnung der MfS-Schule noch betont, dass es Aufgabe sei, den "Kadern ein politisches Grundwissen zu geben und ihnen die Lehre von Marx, Engels, Lenin und Stalin zu vermitteln als Anleitung zum Handeln", so betonte Stasi-Minister Erich Mielke in seiner Festrede zur Promotionsverleihung, die Juristische Hochschule müsse beweisen, "dass sie es versteht, das wissenschaftliche Niveau der Erziehung und Ausbildung der Kader kontinuierlich zu erhöhen"
(aus: Die Juristische Hochschule des MfS, S. 28; Doktoren der Tschekistik, S. 4).
Geheimsache der Stasi – das Studium
In der Öffentlichkeit war die juristische Hochschule kaum bekannt, sie wurde nicht im offiziellen Hochschulverzeichnis genannt und trat auch nicht durch eigene Publikationen in Erscheinung. Um allerdings zu verdeutlichen, dass hier dieselben akademischen Maßstäbe herrschten wie an anderen Hochschulen und Universitäten der DDR wurde die JHS teilweise in die allgemeine Hochschulgesetzgebung einbezogen.
Zum Studium zugelassen wurden allerdings nur Stasi-Mitarbeiter, in Ausnahmefällen konnten Externe promovieren. Dem militärischen Charakter der Hochschule entsprechend studierte man in Uniform. Die gesamte Arbeit unterlag den Geheimhaltungsregeln des Ministeriums für Staatssicherheit. So wurden zum Beispiel auch Lerninhalte in Zeugnissen legendiert, entsprechend diente die Promotion zum Dr. jur. insbesondere der Verschleierung. Die Dissertationen selbst wurden als geheime Verschlusssachen geführt und deren Verteidigung fand im geschlossenen Kreis von Leitungsfunktionären der operativen Diensteinheiten und Wissenschaftlern der Hochschule statt.
Von der Stasi auserwählt – die Doktoranden
Der überwiegende Teil der Promovenden waren Offiziere in mittleren und höheren Leitungsfunktionen, in der Regel lang gediente Mitarbeiter. Alle waren Mitglied der SED, in der Mehrheit waren sie der Partei schon in jungen Jahren beigetreten. Der Großteil stammte aus "proletarischen" Elternhäusern. In den ersten Jahren besaßen die meisten Promovierenden kein Abitur, sondern nur einen Volksschulabschluss, wenngleich ein abgeschlossenes Hochschulstudium die Voraussetzung für die Promotion war. Für das Studium an der JHS reichte aber zum Beispiel auch die Delegierung durch eine Diensteinheit.
Die Mehrheit der Doktoranden der Promotion A waren bereits in der JHS tätig. Die Übrigen waren Mitarbeiter des Untersuchungsorgans des MfS, der HA IX, der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A zuständig für die Auslandsspionage). Aber auch Mitarbeiter der für die Volkswirtschaft zuständigen HA XVIII, der für Passkontrolle, Tourismus und Interhotels zuständigen HA VI, der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) sowie der Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen promovierten hier.
Zu den Promovenden gehörten unter anderen Willi Pösel, von 1959 bis 1985 Rektor der Hochschule und sein Nachfolger Willi Opitz. Aber auch die Stellvertreter Mielkes Gerhard Neiber und Wolfgang Schwanitz oder KoKo-Chef und DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski promovierten an der JHS. Schalck-Golodkowskis Dissertations-Titel lautete zum Beispiel: "Zur Bekämpfung der imperialistischen Störtätigkeit auf dem Gebiet des Außenhandels". Er verfasste sie gemeinsam mit Heinz Volpert – im MfS zuständig für Sonderaufgaben wie Devisenbeschaffung und Häftlingsfreikauf. Zweimal wurde der Ehrendoktor verliehen, 1969 an den Sowjetagenten Rudolf Iwanowitch Abel in den USA und 1985 an Kanzleramtsspion Günter Guillaume.
Bildergalerie: Prominente Stasi-Doktoranden
- Deckblatt der Dissertation von Gerhard Neiber und Heinz Treffehn aus dem Jahr 1970 mit dem Titel: "Die Planung der politisch-operativen Arbeit im Ministerium für Staatssicherheit"
- Deckblatt der 357 Seiten umfassenden Dissertation, an der Willi Opitz als einer von sechs Doktoranden mitgearbeitet hat.
Insgesamt verzeichnete die Hochschule über 3.000 Absolventen. Bis 1989 wurden 476 Promotionen abgeschlossen, davon 378 Promotionen A und 98 Promotionen B, von letzteren hatten 69 bereits eine Promotion A abgeschlossen.
Der Großteil der Promotionen wurde von zwei oder mehreren Autoren erarbeitet. Daher gab es deutlich weniger Doktorarbeiten als Doktoranden. Insgesamt wurden 174 Dissertationen verfasst, der überwiegende Teil ist im Stasi-Unterlagen-Archiv überliefert, einige sind nicht mehr vorhanden, fünf liegen unvollständig vor. Zu den Arbeiten, die nicht mehr vorliegen, gehören u.a. Dissertationen von Mitarbeitern der HV A.
Anleitungen für die operative Tätigkeit – die Doktorarbeiten
Die Themen der Dissertationen waren geheimpolizeilicher und geheimdienstlicher Natur. Grundsätzliche Zielsetzung der Promotionen war es, Analysen zu erstellen, theoretische Grundlagen für die operative Tätigkeit der Stasi-Diensteinheiten zu liefern und auf diese Weise die Arbeit des MfS zu qualifizieren. So heißt es in einem Gutachten der ZAIG zur Dissertation "Die weitere Entwicklung und Vervollkommnung der analytischen Arbeit als Bestandteil der politisch-operativen Arbeit und deren Leitung im MfS" aus dem Jahr 1980 auch: "Die Autoren haben es verstanden, Wissen zu vermitteln, das in den operativen Diensteinheiten weitgehend unmittelbar praktisch anwendbar ist. … Der Forschungsauftrag wurde damit voll erfüllt."
Einen wesentlichen Anteil an den Dissertationsthemen hatte der operative und psychologische Umgang mit inoffiziellen Mitarbeitern.
1967 wurde beispielsweise ein Stasi-Major mit "magna cum Laude" zum Dr. jur. promoviert. Sein Thema: "Die Wirksamkeit moralischer Faktoren im Verhalten der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit den Organen des Ministeriums für Staatssicherheit". Erstgutachter war der Direktor des Instituts für Psychologie an der JHS, Zweitgutachter der Leiter der MfS-Bezirksverwaltung Potsdam.
Ziel der Arbeit war es, durch empirische Untersuchungen einen Beitrag zur "sozialistischen Menschenführung" zu leisten. Ein weiterer Schwerpunkt l der Arbeit war es "Beweggründe, Ursachen und Bedingungen für das Verhalten der Bürger zu und in der inoffiziellen Zusammenarbeit mit den Staatssicherheitsorganen" erforschen. Dabei untersuchte der Autor unter anderem "Grundmotive des Verhaltens zur inoffiziellen Zusammenarbeit und die Rolle moralischer Phänomene".
Eine seine Schlussfolgerungen lautete: "Die Analyse der Motive der Probanden beweist, dass sittliche Aspekte die Hauptfaktoren für die Ablehnung bzw. den Abbruch der Zusammenarbeit sind. Besonders die durch moralische Fehldeutungen der inoffiziellen Zusammenarbeit entstandenen Einstellungen sind dabei entscheidende innere Determinanten." Dies "erhärtet die Forderung, bei der Erziehungs- und Bildungsarbeit sowohl der gesamten Bevölkerung …. als auch der inoffiziellen Mitarbeiter dem Nachweis des zutiefst sittlichen Charakters der Tätigkeit und Arbeitsweise der Staatssicherheitsorgane verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken."
Und weiter schreibt er zum Umgang mit inoffiziellen Mitarbeitern: "Ein wesentliches pädagogisches Erfordernis, dass bei der sittlichen Einstellungsformung unbedingt beachtet werden muss, ist das der Einheitlichkeit und Stetigkeit der Einwirkungen. Nur wenn den inoffiziellen Mitarbeitern sittliche Wertungen gleichbleibend und wiederholt vermittelt werden, wirken sie einstellungsformend."
Der Autor sieht acht Grundmotive für die Zusammenarbeit mit dem MfS:
- Selbstzweck
- Persönlicher Vorteil
- Druck/Zwang
- Erfolgsstreben/Mißerfolgsvermeidung
- Lebenspraktische Zielsetzungen
- Soziale Identifikation
- Erkennen des gesellschaftlichen Erfordernisses
- Sittliches Pflichterleben und Gewissenszwang
Spiegel des Stasi-Blicks – die Dissertationsthemen
Über die Jahre hinweg verdeutlichen die einzelnen Themen der 174 Dissertationen nicht nur die ideologische Frontstellung der SED-Diktatur gegen jeden inneren und äußeren "Feind". Sie spiegeln auch gesellschaftspolitische und internationale Entwicklungen, die aus der Sicht der Stasi erhöhte Aufmerksamkeit und Analysen erforderten.
Die letzte Dissertation wurde gut fünf Wochen nach dem Fall der Mauer, Mitte Dezember 1989, angenommen. Ihr Titel: "Zur Qualifizierung der Einschätzung der sicherheitspolitischen Eignung von Personen". Wenige Monate später, im August 1990, hielt der Einigungsvertrag fest, dass das Studium an der JHS nicht mit einer juristischen Ausbildung anderer Hochschulen gleichzusetzen ist. Absolventen der JHS waren damit im vereinigten Deutschland nicht berechtigt, einen staatlich anerkannten juristischen Beruf auszuüben. Davon unberührt blieb den Promovenden der JHS ihr "Doktortitel der Tschekistik".
Literaturhinweise
- Inge Bennewitz, Die Juristische Hochschule des MfS – SED-Juristen gestern, heute – und morgen? in: Zwie-Gespräch 1994, Nr. 20, S. 22ff
- Doktorarbeiten im Auftrag der Stasi (Dokumentation) in: Deutschland Archiv, 1993, Heft 12, S. 1439ff.
- Dietrich Fischer, Die 'Juristische Hochschule Potsdam' in: Deutschland Archiv, 1990, Heft 12, S. 1891ff.
- Günter Förster, Tschekistik als Wissenschaft. Die juristische Hochschule des MfS, in: Humanistischer Sozialismus, Bd.II., hrsg. von Lothar Mertens und Dieter Voigt, Münster 1995
- Günter Förster, Die Juristische Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit. Die Sozialstruktur ihrer Promovenden in: Studien zur DDR-Gesellschaft, hrsg. von Lothar Mertens und Dieter Voigt, Münster 2001
- Sabine Gries, inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR: Täter oder Opfer? Eine Analyse von Diplomarbeiten und Dissertationen der juristischen Hochschule Potsdam, in: Opfer und Täter im SED-Staat, hrsg von Lothar Mertens und Dieter Voigt, Berlin 1998
- Ilko-Sascha Kowalczuk, Die Hub und das MfS in: Geschichte der Universität Unter den Linden 1810 - 2010, hrsg. von Rüdiger vom Bruch, Bd. 3, Berlin 2012, S. 437ff.
- Roland Wiedmann, Die Diensteinheiten des MfS, MfS-Handbuch Anatomie der Staatssicherheit, hrsg. vom Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Berlin 2012
· Online-Publikationen des BStU zum Thema
Günter Förster: Die Dissertationen an der "Juristischen Hochschule" des MfS (PDF, 1MB, Datei ist barrierefrei ⁄ barrierear
·Günter Förster: Bibliographie der Diplomarbeiten und Abschlussarbeiten an der Hochschule des MfS (PDF, 2MB, Datei ist barrierefrei ⁄ barrierearm)
· Jens Gieseke: Doktoren der Tschekistik (PDF, 119KB, Datei ist barrierefrei ⁄ barrierearm)
· Günter Förster: Die Juristische Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit (PDF, 528KB, Datei ist barrierefrei ⁄ barrierearm)