Die sozialistische Erziehung
Ein interessanter Artikel, der den ehemaligen Wochenheimkindern vielleicht ein paar Antworten geben kann.
Alle Ewiggestrigen dürfen diesen Artikel gern lesen, um schriftlich zu haben, was sie den Kindern damals antaten. Hier ist vom pädagogischen Totalausfall (vorsätzlich) bis hin zum Unbeschreiblichen alles dabei.
Ich kann den ehemaligen Wochenheimkindern nur wünschen, dass sie die ihnen von "Pädagogen" zugefügten Traumatisierungen verarbeiten und überwinden können. Auch Manuela ist ein ehemaliges Wochenheimkind.
Frühe Kindheit in der DDR – bis zur Schule
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Fast gegenläufig verlief die Entwicklung in der DDR. Dort bestand quasi ein Zwang, das Kind so früh wie möglich in eine Einrichtung zu geben, flankiert vom gesetzlich erlaubten Schwangerschaftsabbruch, der kostenfreien Anti-Baby-Pille und einem monatlichen Haushaltstag für Mütter. Wer dies nicht tat, scherte aus der gesellschaftlich geforderten Bürger- und Elternpflicht aus, was immerhin über 10 Prozent der Eltern taten. Eva Schmidt-Kolmer, federführende Verfasserin der Erziehungspläne für Krippen, (Professor Schmidt-Kolmer leitete die Zentralstelle für Hygiene des Kindes- und Jugendalters in Berlin und entwickelte Erziehungsprogramme für Kinderkrippen) vertritt in der Arbeit "Die Rolle der zwischenmenschlichen Beziehungen für die Gesundheit des Kindes" 1961 eine wissenschaftliche Auffassung, die sich völlig mit dem staatlichen Erziehungssystem und der Praxis der Frühtrennung deckt:
Ganz im Gegensatz zu den Behauptungen der Psychoanalytiker wie Spitz, Bowlby usw., dass die Mutter-Kind-Beziehung in der frühesten Kindheit die entscheidendsten und ausschlaggebenden zwischenmenschlichen Beziehungen sind, konnten Untersuchungen von Damborska, Pease und Gardener sowie unsere Untersuchungen der Auswirkungen des Umweltwechsels bzw. der Trennung von der Mutter in den ersten Lebenswochen und -monaten zeigen, dass der junge Säugling diese Trennung kaum oder gar nicht bemerkt, wenn seine Bedürfnisse in adäquater Weise gestillt werden ... Das Fremdeln ist nicht, wie die Psychoanalytiker behaupten, der Ausdruck einer depressiven Phase, sondern ein Ergebnis des fortschreitenden Unterscheidungsvermögens des Kindes. Kommen Kinder in Wochenkrippen und Dauerheimen nur selten in unmittelbaren Nahkontakt mit dem Erwachsenen, dann bleiben sie in ihrer körperlichen wie psychischen Entwicklung zurück, weil ihre höhere Nerventätigkeit nicht genügend trainiert wird und sie häufig Hemmungszustände zeigen (...) Der Anteil der verhaltensgestörten Vorschul- und Schulkinder ist bei uns wesentlich niedriger als in Westdeutschland (...) Die Pflege und Erziehung der kommenden Generation wird eine Gemeinschaftsarbeit zwischen der Familie und den gesellschaftlichen Kindereinrichtungen sein. (Schmidt-Kolmer 1961)
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Die staatlich erwünschte und geförderte Erziehungspraxis besaß ein doppeltes Gesicht: Einerseits boten die zahlreichen Institutionen von Geburt an Eltern und Kindern einen stabilen Rahmen für den Tagesablauf im Wochen- und Jahresrhythmus und preisgünstige, zuverlässige, gruppenbezogene Strukturen, auf die man jederzeit zurückgreifen konnte. Kein Kind war ohne Aufsicht. Andererseits entwickelten sich formale und inhaltliche Kontrollmöglichkeiten bis in die Familie hinein, was dazu führte, dass Eltern ihre Erziehungsverantwortung abgeben konnten, ja fast abgeben mussten und sich ein individuelles Entwicklungsprofil und Selbstempfinden des Kindes nur schwer entwickeln konnten.
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Die Sauberkeitserziehung ist die erste eigentliche soziale Krise des Kindes in unserem Kulturkreis. Sie eröffnet die Chance, eine "ich will - ich will nicht"-Autonomie zu entwickeln, körperlich Hergeben oder Behalten zu spüren, sich psychisch im Trennen zu üben, Stolz zu erleben, aber auch die Gefahr, erstmals gebrochen, beschämt zu werden. Gegen Ende des 2. Lebensjahres klärt sich, welche Gefühle im Kind überwiegen: Schuld und Scham oder Stolz und Bewusstheit, dabei spielt die Erziehung zur Sauberkeit eine zentrale Rolle (Erickson, 1950). Dressur, Zwang, Vorwürfe, Strafen, Beschämung vor anderen Kindern und Eltern, z. B. mit der Windel ins Gesicht geschlagen werden, war leider keine Seltenheit.
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Noch Anfang der 1990er Jahre begegnete ich in einer Kindertagesstätte, die mit ehemaligen DDR-Erziehrinnen arbeitete, dieser Einstellung: Ein Kleinstkind, dass die ersten Tage alleine in der Krippe verbrachte, lag während meines einstündigen Besuchs ununterbrochen schreiend unter einer Bank, ohne dass sich eine der drei Erzieherinnen, die durchaus Vakanzen hatten, regte. Meine Frage, welche pädagogische Absicht damit verbunden sei, wurde mit Erstaunen aufgenommen. Man dürfe das Kind nicht verwöhnen, war die einhellige Meinung. Das erscheint uns im Nachhinein besonders schmerzlich, da Trennungsängste durchaus abgemildert werden können, wenn ein Erwachsener einfühlend darauf eingeht (Robertson & Robertson, 1967). Nicht die Entwicklungspsychologie oder Soziologie, sondern die Neurobiologen konfrontieren uns mittlerweile mit der Erkenntnis, dass nichts ein Baby so stresst und ängstigt wie die frühe Trennung von seiner Mutter (Hüther, 2002).
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Dieses hohe Maß an Zuwendungsbedürftigkeit und Geborgenheitswünschen war augenfällig im wahrsten Sinne des Wortes. Typisch waren blasse Kinder mit starrem Brustkorb und schmale Lippen, oft mit verkniffenem Mund und ungeschickten, wenig ausgreifenden Bewegungen, die Arme eng am Körper gehalten. Kinder, die nicht selten zu distanzloser Kontaktaufnahme neigten. Dieses Erscheinungsbild erinnert an eine frühe Abwehr, die man schon im Säuglingsalter beobachten kann. Wenn die Angst zu groß wird und keiner da ist, der die Angst aufnimmt, kann sich das Baby nach innen zurückziehen: die Haut wird weniger durchblutet, der Blick leer, es erstarrt oder es wird zur "Puppe", die sich der Umwelt überlässt.
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Vorschulzeit und ideologische Früherziehung
In der Vorschulzeit trat die ideologische Erziehung deutlicher in den Vordergrund. Die Kinder erhielten Belehrungen zum Thema Weltfrieden, Solidarität, Waffenbrüderschaft, Klassenfeind, Volksarmee, Sozialismus und lernten entsprechende Lieder, Verse und Rollenspiele. Oft wird heute in Diskussionen die ideologische Früherziehung als besonders schädigend angeführt. Es wäre zu überlegen, wie tief die Parolen, Kampflieder und politischen Rituale die Kleinkinder wirklich erreichten. Eine Verankerung des Freund-Feind-Schemas lässt sich dann vermuten, wenn die gängige Erziehungspraxis die ideologischen Inhalte bestätigte, z.B.: wenn Du nicht gehorchst, bist Du der Feind, wodurch existenzielle Ängste aktiviert werden können. Ich denke, dass diese sprachgebundenen Angebote zwar der Erinnerung leichter zugänglich sind, aber weitaus weniger Einfluss auf die Entwicklung des Selbst hatten als die Ängste im Verlassen sein oder der mangelnde Dialog.
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Die frühe Kindheit wurde meines Erachtens in den letzten Jahrzehnten der DDR durch fünf wesentliche Umstände beeinflusst:
1. Frühseparation von den Eltern vor dem ersten Lebensjahr mit täglich (zu) langen Trennungszeiten;
2. unzureichende Beziehungsangebote in den öffentlichen Erziehungseinrichtungen wegen zu großer Kindergruppen und Vernachlässigung der Beziehungspflege;
3. Mangelnde Wahrnehmung oder Respektierung basaler Bedürfnisse nach Halt, Verstehen, Kreativität und individueller Zuwendung;
4. Infantilisierte Eltern, die sich (deshalb) von kindlichen Bedürfnissen bedroht fühlen und zu projektiven Tendenzen neigen;
5. strukturelle Gewalt der Institutionen durch eine rigide Lenkungspädagogik, die weitestgehend auf den Dialog verzichtet. Selbstverständlich enthält eine solche Überschau Vergröberungen und kann nur die allgemeinen Tendenzen wiedergeben. Natürlich gab es unter den Eltern und all denen, die in ihrem Beruf mit der Pflege, Erziehung und Behandlung von Kindern zu tun hatten, Menschen, die einen Schutzraum für individuelle Entwicklung einrichteten, sich gegen den Mainstream stellten, nicht selten verbunden mit Angriffen oder Verzicht auf materielle und berufliche Sicherheiten.
Wenn dieser Beitrag besonders die Schwierigkeiten des Heranwachsens beleuchtete, so geschah das nicht, um die DDR als ein Jammertal darzustellen, in dem weder gelacht, geliebt noch gedacht werden durfte, sondern in der Hoffnung, dass wir diese Erfahrungen verwenden, um genauer auf das zu schauen, was wir heute zu verantworten haben.
Den kompletten Artikel finden Sie hier.
Ein Video zu diesem Thema sehen Sie hier.
Manuela, meint dazu und ich schließe mich dem vollkommen an:
"Ging es wirklich nur um die Gleichberechtigung der Frau? Ich denke, dass es nur darum ging, den Arbeitskräftemangel mit Hilfe der Frauen entgegenzuwirken und dieses heuchlerische System DDR ließ diese vielen Frauen gar keine Möglichkeit selbst entscheiden zu dürfen, ob sie zu Hause bei ihren Kindern bleiben wollen oder ob sie arbeiten gehen. Zu dem hatte der Staat alle Macht in der Hand, um die Kinder so nach den Vorstellungen des Staates und des Ein-Parteien-Systems zu erziehen. Individualismus der Kinder wurde gebrochen und es galt nur das sogenannte Kollektivwohl.
Mit den vielen Kinderbetreuungsmöglichkeiten wollte dieser Staat gegenüber dem Westen punkten, ohne die wahren Hintergründe aufzuzeigen. In dem man damals das Idealbild der Vollberufstätigkeit beider Eltern in den Himmel lobte, sah niemand wie hart dies vorallem für die Frau und Mutter war. Sie stand unter einer Doppelbelastung als Vollberufstätige, Frau und Mutter während des gesamten Arbeitslebens. Denn wer nicht arbeiten ging, war nicht gut angesehen und galt sogar als asozial.
Bitte liebe Mütter von heute, bevor ihr lautstark nach 24 Stunden Kitas ruft, überlegt was genau dies für die Bindungsfähigkeit eurer Kinder bedeuten würde. Heute gibt es die Möglichkeit, sich Informationen darüber einzuholen (wie beispielsweise in diesem Video). Auch auf ihrer Homepage www.manuelakeilholz.de habe ich über eigene Erfahrungen meiner Wochenheimzeit berichtet, aber auch Links zu Artikel und Infos über die sozialistische Erziehung eingefügt.
BITTE: Es sind die ersten drei Jahre, die allerwichtigsten für eurer Kind. In dieser Zeit sollte das Kind die Nähe und Liebe , sowie Geborgenheit bei den Eltern täglich erleben dürfen und dies nicht nur, um sie zum Schlafen zu legen.
Nur so gewinnen sie eigenes Selbstvertrauen und von eurer Liebe wird eurer Kind später immer noch zehren können und so auch in ihren Leben ihren Mann bzw. Frau stehen. Es sind nur drei Jahre Pause, die Mütter und Väter sich heute sogar teilen können, um ihr Kind eine wahre optimale Entwicklung zu gewährleisten."